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MANDANTENINFORMATION

[Stand: Montag, 16.03.2020, 18:00 Uhr]

A. Vorbemerkung

Wir befinden uns in einer Ausnahmesituation. Die Bevölkerung ist dazu aufgerufen, die sozialen Kontakte auf ein Minimum zu reduzieren, damit die Ausbreitung des Corona-Virus (COVID-19) zumindest verlangsamt wird. Gleichzeitig sind die kommunalen Gremien Teil unseres Staatswesens, welches auch (bzw. gerade) in Krisenzeiten aufrechterhalten werden muss.

Verstärkt fragen uns Kommunen und Vertreter/innen kommunaler Gremien an, wie sie mit den Sitzungen von Gemeindevorstand, Gemeindevertretung und Ausschüssen umgehen sollen. Nachfolgend wollen wir über die aktuelle Rechtslage informieren und mögliche Handlungsoptionen aufzeigen:

B. Rechtslage

Die Hessische Gemeindeordnung (HGO) ist leider auf eine derartige Ausnahmesituation zurzeit nicht gänzlich vorbereitet. Anpassungen können nur durch den Landesgesetzgeber erfolgen und sind deshalb in nächster Zeit nicht zu erwarten.

Die HGO fordert beispielsweise zwingend die Öffentlichkeit der Sitzungen der Gemeindevertretung und ihrer Ausschüsse (vgl. § 52 HGO). Umlaufbeschlüsse, Videoschalten etc. können nicht im Rahmen der Beschlussfassung in der Gemeindevertretung genutzt werden (teilw. anders in Bezug auf Gemeindevorstand, siehe dazu unten).

Weder das Infektionsschutzgesetz (IfSG), noch auf Grundlage dieses Gesetzes erlassene Verordnungen des Bundes oder des Landes befassen sich mit den kommunalen Gremien und deren Sitzungsabläufen. Die aktuell gültige Rechtsverordnung des Landes Hessen (Dritte Verordnung zur Bekämpfung des Corona-Virus vom 14. März 2020) verbietet zwar öffentliche und nichtöffentliche Veranstaltungen ab einer tatsächlich vorhandenen oder zu erwartenden Zahl von 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Dies gilt nach unserer Rechtsauffassung jedoch nicht für die eigenständig gesetzlich geregelten kommunale Gremien. Diese sind u. E. nicht als „Veranstaltungen“ im Sinne der Rechtsverordnung zu qualifizieren. Etwas anderes ist auch nicht der aktuell verkündeten „Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Bundesländer angesichts der Corona-Epidemie in Deutschland“ vom 16.03.2020 (Pressemitteilung 96 der Bundesregierung) zu entnehmen.

C. Handlungsoptionen zur Aufrechterhaltung der kommunalen Entscheidungsgremien bei maximaler Reduzierung der Sitzungen und Teilnehmer/innen

I. Gemeindevorstand / Magistrat

Die Sitzungen bzw. Beschlussfassungen des Gemeindevorstands / Magistrats erscheinen relativ unproblematisch durchführbar. Er tagt und beschließt i.d.R. nicht-öffentlich (vgl. § 67 Abs. 1 HGO) und kann in einfachen Angelegenheiten auch Beschlüsse im Umlaufverfahren fassen, wenn kein Gemeindevorstandsmitglied widerspricht (vgl. § 67 Abs. 1 Satz 3 HGO). Vor dem Hintergrund der behördlichen Aufforderungen und der staatsbürgerlichen Verantwortung, die zwischenmenschlichen Kontakte zur Eindämmung der rasanten Verbreitung des Virus auf ein Mindestmaß zu reduzieren, erscheint ein umfassender Gebrauch von dieser Regelung geboten. Eine einfache Angelegenheit im Sinne des § 67 Abs. 1 Satz 3 HGO ist dann anzunehmen, wenn der zu beurteilende Sachverhalt einfach ist und die Notwendigkeit einer Beratung im Gesamtorgan vor der Beschlussfassung nicht besteht (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 07.07.1980, DÖV 1981, 584). Vor dem Hintergrund der aktuellen Herausforderungen und der Tatsache, dass ein Umlaufbeschluss ohnehin nur bei Einverständnis aller Beigeordneten / Stadträte möglich ist, darf unseres Erachtens von einem weiten Anwendungsbereich ausgegangen werden.

II. Gemeindevertretung / Stadtverordnetenversammlung

Schwieriger gestaltet sich die Aufrechterhaltung der Sitzungsabläufe in Bezug auf die Gemeindevertretung / Stadtverordnetenversammlung. Sie muss zur Beschlussfassung in öffentlicher Sitzung zusammentreten und kann keine Umlaufbeschlüsse fassen (s.o.). 

Denkbar ist jedoch, die Ausschusssitzungen nicht durchzuführen und lediglich die Gemeindevertretung tagen zu lassen. Das Gesetz sieht nämlich lediglich die Bildung eines Finanzausschusses vor (vgl. § 62 Abs. 1 Satz 2 HGO). Der Finanzausschuss hat bestimmte, ihm durch §§ 26a, 97 Abs. 3 HGO zugewiesene gesetzlichen Aufgaben. Die Regelungen der jeweiligen Geschäftsordnungen zu vorbereitenden Ausschusssitzungen sind darüberhinausgehend fakultativ und können von der Gemeindevertretung jederzeit „übergangen“ werden (im Ergebnis so auch: VG Gießen, Beschl. v. 11.12.2002 – 8 G 4881/02 -).

Die Gemeindevertretung könnte zudem die abschließende Beschlussfassung für einige Angelegenheiten auf einen „Notausschuss“ delegieren (vgl. § 50 Abs. 1 Satz 2 HGO). Es empfiehlt sich den bereits vorhandenen Finanzausschuss damit zu beauftragen. Dann können unabhängig von der Gemeindevertretung sämtliche Angelegenheiten, die nicht Angelegenheiten nach § 51 HGO sind, von diesem Ausschuss abschließend beraten und beschlossen werden. In einigen Kommunen wird dies bereits für die Zeit der Sommerferien im Rahmen eines „Ferienausschusses“ praktiziert.

Ein Beschluss der Gemeindevertretung könnte wie folgt lauten:

„Für die Dauer aller Maßnahmen des Landes Hessen zur Bekämpfung des Corona-Virus auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes (derzeit: Dritte Verordnung zur Bekämpfung des Corona-Virus vom 14.3.2020) überträgt die Gemeindevertretung dem Finanzausschuss die Beschlussfassung über unaufschiebbare Angelegenheiten, soweit es sich dabei nicht um Angelegenheiten des § 51 HGO handelt.“

Im Rahmen einer (rechtlich nicht verbindlichen) Vereinbarung unter den Fraktionen wäre auch denkbar, dass man sich darauf einigt, dass nur eine reduzierte Zahl von Gemeindevertretern an der Sitzung der Gemeindevertretung teilnimmt, um bspw. die vorgesehenen Abstände zwischen den Menschen einhalten und Risikogruppen schützen zu können. Diesbezüglich ist lediglich zu beachten, dass für die Beschlussfähigkeit der Gemeindevertretung mehr als die Hälfte der gesetzlichen Zahl der Gemeindevertreter anwesend sein muss (vgl. § 53 Abs. 1 Satz 1 HGO).

Für sämtliche Sitzungen gilt es in Bezug auf ihre Durchführung die Empfehlungen und ggfs. Anordnungen des Robert-Koch-Instituts bzw. der zuständigen Behörden zu beachten (Sicherheitshinweise, Abstände, Lüftung etc.).

D. Rechtshinweise zur Verwendung dieses Informationsbriefes / kein Ersatz individueller Rechtsberatung

Dieser Informationsbrief wurde auf Grundlage des zum Erstellungszeitpunkt aktuellen Rechtslage verfasst. Er soll den Kommunen und kommunalen Vertretern mögliche Handlungsoptionen zur Aufrechterhaltung der kommunalen Entscheidungsprozesse aufzeigen und ersetzt keine individuelle Rechtsberatung. Aufgrund der sich täglich – manchmal stündlich – ändernden Rechtslage ist stets neu zu prüfen, ob die hier beschriebenen Maßnahmen noch rechtssicher durchführbar sind. Dabei sind auch eventuelle örtliche Verfügungen der zuständigen Behörden zu prüfen, um im Einzelfall Entscheidungen treffen zu können.

Bitte kontaktieren Sie uns oder andere in der kommunalen Rechtsberatung spezialisierte Kollegen, bevor Sie abschließende Entscheidungen auf Grundlage dieses Informationsbriefes treffen.

 

Ansprechpartner:     Rechtsanwalt Christopher Nübel
Kontakt: 0641 / 98 45 71-88 ∙ nuebel@kln-anwaelte.de

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